
Schneller zurück an den Arbeitsplatz
Die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit (AU) sind psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen. Durch unsichere Erstdiagnosen und lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz kann die Rückkehr an den Arbeitsplatz in weite Ferne rücken. Lange AU-Zeiten erschweren jedoch oft auch die Genesung. „[…] Bei den allermeisten Patientinnen und Patienten mit Depressionen wirken sich lange Zeiten der Arbeitsunfähigkeit eher negativ aus“, sagt Professor Dr. Kai Kahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Mit dem Projekt PRO*ACTIVE testet Professor Kahl gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Ivo Heitland einen neuen Ansatz. Die rasche Wiedereingliederung von Patient*innen mit Depressionen soll aktiv gefördert werden. Das Projekt startet im Herbst 2025 und wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Projektpartner sind die AOK Niedersachsen sowie zwei Institute der MHH.
Lange Zeit wurde davon ausgegangen, Patient*innen müssten erst durch Psychotherapie vollständig genesen sein, um anschließend an den Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Kahl widerspricht: „Die Betroffenen von der Arbeit fernzuhalten macht überhaupt keinen Sinn. Viel besser ist es, die Therapie von Anfang an den Arbeitsplatz anzupassen und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie den Genesungsprozess unterstützen.“ Arbeit sorge häufig sowohl für Struktur als auch soziale Kontakte und Wertschätzung.
Rasche ambulante Versorgung
Das Projekt PRO*ACTIVE umfasst vier Schritte:
- Die AOK identifiziert Versicherte mit Depressionsdiagnose und dem Risiko einer langfristigen Arbeitsunfähigkeit.
- Fallmanager*innen der AOK kontaktieren die Versicherten und vermitteln sie in das Projekt.
- Die Depressionsdiagnose wird in der MHH im Zweitmeinungsverfahren überprüft und die Versicherten werden in eine ambulante Psychotherapie vermittelt.
- Die Psychotherapie wird wohnortnah in zertifizierten psychotherapeutischen Kooperationspraxen durchgeführt.
Arbeitsplatzorientierten Therapie wird mit Standardtherapie verglichen
125 Patient*innen erhalten eine Standard-Psychotherapie, 125 Patient*innen eine Psychotherapie, bei der die Rückkehr in Arbeit psychotherapeutisch aktiv betreut wird. Die Patient*innen nehmen selbst Kontakt zu ihren Arbeitgebenden auf und besprechen die genauen Bedingungen der Rückkehr in die Berufstätigkeit.
Am Ende wird der individuelle Erfolg der Therapie gemessen und die Effekte der beiden Therapiearten miteinander verglichen.
Weniger Kosten
„Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass vor allem leicht bis mittelschwer depressive Patientinnen und Patienten davon profitieren, wenn der Arbeitsplatz von Beginn der Therapie an mitgedacht wird“, so Dr. Heitland. „Sie werden schneller wieder gesund und entfernen sich durch lange AU-Zeiten nicht immer weiter von ihrer Arbeit.“ Außerdem wirke sich die arbeitsplatzbezogene Therapie laut Professor Kahl auch gesundheitsökonomisch positiv aus, da kürzere AU-Zeiten die Kosten für die Krankenkassen senken und das Sozialsystem schonen. Heitland und Kahl hoffen, dass die arbeitsplatzbezogene Psychotherapie langfristig in die Regelversorgung übernommen wird.
Quelle: Medizinische Hochschule Hannover : Trotz Depressionen schnell zurück an den Arbeitsplatz